Rechnen mit der Null

 

Den besonderen Problemen beim Rechnen mit der Null war ein Forschungsprojekt gewidmet, das im 6. Forschungsbericht der Pädagogischen Hochschule Heidelberg dargestellt worden ist. Diese Darstellung wird hier in leicht gekürzter und aktualisierter Form wiedergegeben. (Das Nachfolgende zum download: Im Word Format; im HTML-Format)

"Rechnen mit der Null":
Leitung: Prof. Dr. Reimer Kornmann
   
Mitarbeit: Anette Frank, M.A.
  Claudia Holland-Rummer, Dipl. Psych
   
Laufzeit: 09/93-08/94 und 04/95-03/98
   
Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft
  Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst
  Baden-Württemberg
   
Zusammenarbeit mit: Grund- und Sonderschulen in den Ländern Baden-
  Württemberg, Hessen, Saarland und Schleswig-Holstein

1. Kurzdarstellung

In der Fachliteratur werden die Schwierigkeiten beim Rechnen mit Aufgaben, die eine Null enthalten, oft beschrieben, aber nicht umfassend erklärt. In der Schulpraxis fehlen offensichtlich geeignete Vermittlungskonzepte, um diesen Schwierigkeiten angemessen und erfolgreich zu begegnen.

Zielsetzungen

Auf der Grundlage angemessener Erklärungsansätze sollen geeignete pädagogische Hilfen zur Minderung und Überwindung der Schwierigkeiten beim Rechnen mit der Null entwickelt und erprobt werden.


Geltungsbereich, Zielgruppen

Die Arbeit beschränkt sich vorerst auf Additions- und Subtraktionsaufgaben im Zahlenraum 0 bis 20. Zielgruppe sind somit Kinder aus dem Primarbereich von Grund- und Sonderschulen bzw. deren Lehrerinnen und Lehrer.


Spezielle Fragestellungen

Führt die Durchführung der 12 im Projekt entwickelten Unterrichtseinheiten

a) zu einer Verbesserung des Kenntnisstandes bezüglich der verschiedenen Bedeutungsaspekte der Null?

b) zu einer Verminderung der Fehlerzahlen bei einfachen Additions- und Subtraktionsaufgaben mit einer Null, wobei dieser Effekt insbesondere nach Einführung der Multiplikation noch nachweisbar sein soll?

Vorgehensweise, Arbeitsprogramm

- Sammlung, Dokumentation und Auswertung einschlägiger Fachliteratur

- Entwicklung und praktische Erprobung von 12 Unterrichtseinheiten, die die Null in ihren sechs wichtigsten Bedeutungsaspekten und auf vier verschiedenen Repräsentationsebenen vermitteln sollen

- Entwicklung und Erprobung einer Aufgabensammlung, die den Kenntnisstand der Kinder bezüglich der Bedeutungsaspekte der Null erfassen soll

- Sichtung von Lernspielen und Übungsmaterialien (einschließlich Software) für den Mathematikunterricht unter der Fragestellung, ob die Null berücksichtigt wird und ggf., welche Bedeutungsaspekte und Repräsentationsebenen dabei angesprochen werden

- Bundesweite schriftliche Befragung von mehreren hundert Lehrkräften an Grund- und Sonderschulen bezüglich ihrer Einschätzung der Bedeutsamkeit der Null bei der Einführung der Multiplikation, ihrer Orientierung an bestimmten Schulbüchern und Materialien sowie der Behandlung der Null im eigenen Unterricht

- Sichtung der Lehrpläne bzw. Rahmenrichtlinien für Grund- und Sonderschulen aller Bundesländer unter der Frage, ob und ggf. wie ausführlich und in welchen inhaltlichen Zusammenhängen die Null behandelt werden soll

- Analyse aller für Grund- und Sonderschulen im Jahre 1995 in Deutschland zugelassenen 82 Schulbücher, in denen die Multiplikation eingeführt wird, unter der Fragestellung, ob und ggf. wie dabei die Null berücksichtigt wird

- Planung, Durchführung und Auswertung von zwei längsschnittlich angelegten, quasiexperimentellen Untersuchungen (Kontrollgruppen-design mit einer Meßwiederholung) zur Überprüfung der Wirksamkeit der 12 Unterrichtseinheiten an mehreren hundert Kindern aus insgesamt 72 Schulklassen.

2. Ergebnisse

- Befragung der Lehrkräfte:
Die weitaus meisten erachten die Null bei der Einführung der Multiplikation zwar für wichtig, aber nur ein Drittel kann dafür geeignete Methoden angeben.

- Durchsicht der Lehrpläne bzw. Rahmenrichtlinien:
Entweder wird die Null überhaupt nicht erwähnt, oder es ist nicht zu erkennen, daß besonderer Wert auf eine fundierte Behandlung gelegt wird.

Schulbuchanalyse:

Es bestätigte sich der schon zuvor für die Addition gewonnene Befund, wonach die Null entweder gar nicht behandelt oder - von wenigen Ausnahmen abgesehen - völlig unzureichend berücksichtigt wird.

Analyse der Lernspiele und Übungsmaterialien:

Da viele Produkte die Null nicht berücksichtigen oder gar falsche Vorstellungen vermitteln, wurden die positiven Beispiele gesammelt, beschrieben und systematisiert.


Erklärungskonzept:

Die vielfach beschriebenen und mit kognitionspsychologischen Kategorien erklärbaren Schwierigkeiten der Lernenden lassen sich sicher auf unzulängliche Vermittlungsmethoden und mangelnde Lerngelegenheiten zurückführen. Die offensichtliche Vernachlässigung der Null in unserem Kulturkreis läßt sich unter kulturhistorischen, philosophischen, mathematischen und fachdidaktischen Aspekten erklären (siehe die Dissertation von Wagner).

Evaluation der Unterrichtseinheiten:

Gegenüber den Kindern der Kontrollgruppe ließen sich bei den speziell geförderten Schülerinnen und Schülern deutlich geringere Schwierigkeiten bei Rechenaufgaben mit der Null und ein größerer Wissenszuwachs bezüglich der Bedeutungsaspekte feststellen. Dieser Befund stützt zusätzlich das Erklärungskonzept.

3. Publikationen

Kornmann R. & Wagner, H.-J. (1990). Ermittlung der Lernbasis bei einfachen Kopfrechenaufgaben im Zahlenraum 0-20. Zeitschrift für Heilpädagogik, Beiheft 17, 41, 211-218.

Wagner, H.-J., Seeger-Kelbe, A., Kornmann, R. (1991). Die Null - eine vernachlässigte Größe in elementaren Mathematiklehrwerken der Schule für Lernbehinderte. Zeitschrift für Heilpädagogik, 42, 442-479.

Wagner, H.-J. & Kornmann, R. (1992). Schwierigskeits- und Fehleranalysen von zweigliedrigen Additionsaufgaben mit Null im Zahlenraum 0-20 mit Ergebnis größer als 10. mathematica didactica, 15 (2), 96-105.

Wagner, H.-J. (1994). Die Bedeutung der Null innerhalb der Addition im Zahlenraum 0 bis 20 als Problem pädagogischer Vermittlung. Dissertation an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Wagner, H.-J. & Born, C. (1994). Diagnostikum: Basisfähigkeiten im Zahlenraum 0 bis 20. Weinheim: Beltz.

Kornmann, R. & Wagner, H.-J. (1995). Variationen von Anforderungen und Fehleralalysen als Methoden der förderungsorientierten Diagnostik - aufgezeigt für einfache Rechenaufgaben. Studienbrief. Hagen: Fernuniversität-Gesamthochschule.

Wagner, H.-J. & Kornmann, R. (1996). Bedeutungsaspekte der Null im Hinblick auf ihre pädagogische Vermittlung. In: G. Siepmann & K. Salzberg-Ludwig (Hrsg.), Gegenwärtige und zukünftige Aufgaben in der Lernbehindertenpädagogik, Teil 2 (S. 241-251). Potsdam: Universität.

Kornmann, R. (1997). Die Null - eine nicht zu vernachlässigende Größe! - Werkstattbericht aus dem Forschungsprojekt "Rechnen mit der Null". Informationsschrift Nr. 53 zur Lehrerbildung, Lehrerfortbildung und pädagogischen Weiterbildung, WS 1997/98, 18-56.

Kornmann, R.; Frank, A.; Holland-Rummer, C.; Mack, K. (1997). Müssen Lern- und Vermittlungsprozesse des Multiplizierens mit der Null an mangelnden Konkretisierungsmöglichkeiten scheiten? Die neue Sonderschule, 42(1997), 4, 278-285

Kornmann, R.; Holland-Rummer, C.; Frank, A. und Mack, K. (1997). Die Null = Nichts für Sonderschulen? Eine Schulbuchanalyse zur Einführung der Multiplikation. Zeitschrift für Heilpädagogik, 47, S.459-462.

Kornmann, R. & Wagner, H.-J. (1998). Förderungsorientierte Fehleranalyse bei zweigliedrigen Additionsaufgaben im Zahlenraum bis 20. In E. Witruk (Hrsg.), Differentielle Lernpsychologie - Grundlagen und Anwendungsfelder (S. 197-201). Leipzig: Universitätsverlag.

Kornmann, R., Frank, A., Holland-Rummer, C. & H.-J. Wagner (1999): Probleme beim Rechnen mit der Null. Erklärungsansätze und pädagogische Hilfen. Weinheim: Beltz. Deutscher Studien Verlag.

Kornmann, R., Frank, A., Holland-Rummer, C. & Wagner, H.-J. (2000). Quasiexperimentelle Untersuchung der Wirksamkeit von Unterrichtseinheiten zur Vermittlung von Bedeutungsaspekten der Zahl Null. Empirische Pädagogik, 14 (4), 373-389.